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Ortsgeschichte von Untertürkheim von der Gründung des Ortes bis heute
Von Johannes Lechler
2) 1600-1700

Ortsgeschichte von Untertürkheim von der Gründung des Ortes bis heute (1935)

[pag137] Im Jahr 1601 zog als Pfarrer hier auf Jakob Borer, der bis mitten in den Dreißigjährigen Krieg hinein das Amt versah und die Zerstörung Untertürkheims noch miterlebte. Er ist am 14. Februar 1635 im exilio (Verbannung) in Eßlingen an einem casu tragico (tragischem Unglück) gestorben. Sein Nachfolger Johann Baumann starb schon im Oktober 1635, und nun wurde Jakob Esserben als Pfarrer hierher ernannt. Im Jahr 1602 hat der 12. April einen Frost gebracht, daß "Berg und Tal mitsamt dem Obst erfroren ist und gar keine Kelter umgangen", dagegen gab es viel und gut Korn. 1604 gab es ein so spätes Frühjahr, daß den Bauern das Futter ausging, und man für eine Wanne Heu 11 Gulden und für einen Sack Spreuer 10 Kreuzer zahlen mußte. 

Ein Honigtau hat das Obst verderbt, und im Blühet hat es mit Regen und Sonnenblitz das Laub im Weingarten verbrennt, daß es alles herabgefallen. Nach Johanni kam so geschlacht Wetter, daß wider alles Erwarten ein vollkommener Herbst erwuchs, der aber einen sauren Wein lieferte. Der Wein bekam den Namen "Doppelführer". Kraut und Rüben gabs wenig, auch kein Obst. Der Kernen kostete 4 Gulden, der saure Wein galt nicht die Hälfte wie in anderen Jahren. 

Im Jahr 1603 hat der energische Herzog Friedrich I. durch eine allgemeine Musterung festgestellt, daß sein 400 000 Seelen zählendes Land 66 229 waffenfähige Männer habe; aber erst ein neugewählter Landtag bewilligte ihm seine militärischen Forderungen: war doch eine Schuldenlast von über 1 Million Gulden da, und sie wurde bei der üppigen Hofhaltung des Herzogs nicht geringer. Friedrich ist es gewesen, der vertriebene evangelische Bergleute aus Österreich in "Friedrichs Freudenstadt" abgesiedelt hat. 

Unter der Regierung seines Nachfolgers Johann Friedrich wurde auf Beschluß der Evangelischen Union hin 1617 das Reformationsjubiläum in allen evangelischen Ländern gefeiert. Diese Feier diente dann freilich dazu, die gereizte Stimmung, die zwischen Evangelischen und Katholischen herrschte, noch zu verschärfen: denn auf den Kanzeln wurde nicht wenig gegen den römischen Antichrist losgezogen. Das Jahr 1617 war ein fruchtbares, da alles wohl geraten, nur gab es wenig Obst, dagegen Überfluß von Wein und eine herrliche Ernte. Auch das folgende Jahr war reich an Korn, Obst, Rüben, Kraut, weniger an Wein. Und 1619 heißt es wieder: ein herrlich gut fruchtbar Jahr. Der Kernen kostete bloß noch 2 Gulden und der Wein 12 Pfund Heller und 13 Schilling ( 1 Pfund Heller - 42 Kreuzer: 60 Kreuzer - 1 Gulden; 1 Gulden = 1Mark 71 Pfennig; 1 Schilling - 12 Pfennig: 1 Groschen - 3 Kreuzer; 1 Kreuzer - 4 Pfennig zu 2 Heller). Aber schon in diesem Jahr bekam der Ort den fernd ausgebrochnen Krieg zu spüren, bei dem von Anfang an der Grundsatz galt: Der Krieg muß den Krieg ernähren. Am 1. Februar zog das erste Kriegsvolk durch. Am 2. Juni hat man angefangen, die Werbetrommel zu rühren, und am 29. Juni wurden die ersten Soldaten auf 9 Wochen einquartiert. Im folgenden Jahr 1920 erschreckte ein Komet die abergläubischen Gemüter, und am 25. Juni ist Unionskriegsvolk das Remstal herabgezogen, nicht mit geringem Schaden der Untertanen, obgleich es ja Truppen der evangelischen Pfarrei waren. Am 19. und 23. Juli hat ein Hagelwetter den Ort heimgesucht, verbunden mit einem Wolkenbruch, so daß der Gögelbach zwei Scheunen mitsamt dem Wächterhäuslein in den Neckar geflößt hat. Wo der Hagel [pag138] nicht geschlagen, gab es eine herrliche Kornernte, dagegen waren die Sommerfrüchte mager wegen der Dürre im April; doch bekam man ziemlich Obst und Kuchenspeis und in den Weinbergen auf 1 Morgen noch 1 1/2 Eimer. Aber das Korn schlug von 4 auf 7 Gulden auf, der Wein galt 14 Pfund Heller 10 Schilling. "Viel Rindvieh, so übergällisch geworden, ist abgegangen." Im Jahr 1621 brach die Münznot (die Inflation des Dreißigjährigen Kriegs) in vollem Maße aus. Angefangen hatten die Fürsten, die Geld brauchten und nun immer schlechtere Münzen schlagen ließen, bis es nur noch versilbertes Kupfer war, das nach acht Tagen fuchsrot wurde. Überall wurden neue Münzstätten errichtet; und wo man Kupfergeschirr oder -kessel oder irgendwelche kupfernen Gegenstände fand, machte man Geld daraus. Jedermann wollte ohne Arbeit reich werden. Im Lauf des Jahres stieg das gute Geld von Tag zu Tag im Preis. Bis Weihnachten mußte man für einen guten alten Joachimstaler 5 Gulden 30 Kreuzer geben. Durch das betrügliche Gold stieg der Preis der Waren aufs höchste. 1622 kostete 1 Laib Brot 1 Gulden, eine Maß Wein in den Gastgeberhäusern 2 Gulden. Niemand wollte mehr um Geld feilhalten. Die Gastgeber warfen ihre Schilde ab. Die Kinder spielten auf der Gasse mit dem Geld. Man hatte viel Wein gegen Korn vertauscht. Das Korn kostete 24 Gulden, der Wein 82 Pfund Heller 10 Schilling (etwa 74 Gulden). Und dabei "ging es schrecklich her mit Morden, Rauben, Brennen, Einquartieren der Soldaten, welche die Leute über ihr Vermögen aufzutragen gezwungen" haben. Im Jahr 1623 wurde dann der Reichstaler auf 1 1/2 Gulden herabgesetzt und das Kupfergeld abgeschafft. Jetzt waren dann auf einmal die Reichen arm geworden. In diesem Jahr, 1623, wurde das Land von braunen Schmetterlingsschwärmen überfallen, die schwarze Raupen zurückließen, ein gefräßiges Geschmeiß, das nicht nur Kraut und Rüben, sondern auch das Gras, ja sogar Disteln verzehrte. Der 23. Juli 1624 brachte wiederum ein böses Hagelwetter mit großem Wind und Gewässer, und mit Einquartierung war man noch immer sehr beschwert. 1625 ist die Frucht taub geworden, so daß man von 50 Garben einen einzigen Scheffel Dinkel (nicht Kernen) bekam. 1626 ist nach [pag139] den Eisheiligen, am 20. Mai alle Weingarten, aber auch Roggen und Gerste erfroren. Dann ist von langwierigem Regenwetter das Rebwerk gelb geworden. Am 22. Juli hat ein Sturm viel Obst abgerissen und Bäume zerspalten.

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Der Preis des Scheffels Kernen stieg auf 20 Gulden. Viele mußten betteln, die siech bisher mit Handarbeit ernährt hatten, und die sich schämten zu betteln, sind Hungers gestorben. Andere haben mit Gras, Disteln und Melden und anderen grünen Kräutern ihr Leben gefristet. Auf den Hunger folgte die Pestilenz. Auch das Jahr 1627 brachte viel Sturm und Hagel, und im folgenden Jahr sah man im April am Himmel Kriegsheere, die in der Luft wider einander stritte; die Trauben aber hat man "mit Rüebeysen und Stößeln verstoßen müssen", so hart sind die geblieben. Am 9. Juli sind 800 Kirkiser das Neckartal herabgezogen und in Untertürkheim und umliegenden Flecken "auf das Nachtquartier einglossiert" worden. Am 20. sind sie nach und nach das Tal herab auf Cannstatt marschiert. Zwei Tage nachher ist schon wieder ein Korps Reuter durch das Neckartal gezogen und hat in Untertürkheim ein Nachtquartier gehabt. 1629 war dann endlich wieder ein fruchtbares Jahr, in dem alles reichlich und gut gewachsen ist und auch der Wein seht gut geworden. Aber freilich die Untertürkheimer werden nicht viel davon gehabt haben, denn über 40 Kompanien sind n das Winterlager gelegt worden, und eis ging bis 22. Juli 1630, bis das Kriegsvolk endlich abzog. Aber nun wurde Wirtemberg von dem 1629 erlassenen Restitutionsedikt betroffen, dem zufolge die seit dem Passauer Vertrag eingezogenen geistlichen Güter zurückgegeben, restituiert, werden sollten. Obgleich es in Württemberg solche gar nicht gab, wurden doch am 22. August 1630 (000 Mann ins Land geschickt, die Klöster mit Mönchen und Pfaffen besetzt, Prediger und Schuldiener fortgejagt und die Bürgerschaft gezwungen, dem Kaiser zu huldigen. Das Konsistorium ordnete in solcher Notzeit eine tägliche Betstunde um 12 Uhr an. 1631 kamen die Fürstenbergschen Truppen, gegen die der Herzogadministrator Julius Friedrich im sogenannten Kirschenkrieg nichts ausgerichtet hatte, in die Gegend von Untertürkheim, wo das Hauptquartier Fürstenbergs war, und jetzt wurde die Last der Einquartierung wieder sehr drückend; dazu waren die Gemüter der Leute aufs tiefste erschüttert und erschreckt durch die Nachricht von der Einnahme Magdeburgs und dem furchtbaren Brennen , Rauben und Morden bei derselben. In Stuttgart wurde die Angst so groß, daß die Reichsten und Vornehmsten aus der Stadt flohen. Da bracht die Nachricht von dem Sieg Gustav Adolfs bei Breitenfeld eine Wendung der Stimmung und Verhältnisse. Anfang 1632 zogen die letzten ligistischen Truppen aus Württemberg ab, und vor Eßlingen erschien ein schwedischer Leutnant mit 25 Reitern, die die katholischen Klosterhöfe plünderten. Im Jahr 1633 übernahm Herzog Eberhard, der bei dem Tod seines Vaters, 1628, kaum 14 Jahre alt war, die Regierung. Er ordnete an, daß seine Untertanen sich alsbald mit ihren besten Waffen in die Amtsorte zu begeben haben, wenn sie hören, daß auf den Festungen Kanonenschüsse gelöst werden. Im Jahr 1634, während ein herrlicher Herbst heranreifte, stand an der Grenze ein Heer, bei dem auch 6000 meist mit Spießen bewaffnete württembergische Bauern waren. Anfang September hörte man die frei Kanonenschüsse. Bei Nördlingen war das Heer der Evangelischen geschlagen worden. 4000 Württemberger, die tapfer gefochten hatten, lagen die hingemäht auf dem Schlachtfeld. Vor der geschlagenen Armee war keine Kompanie mehr beieinander. Die Leute ritten und liefen plündernd durchs Land. Erst bei Heilbronn sammelten sie sich einigermaßen wieder. Hinter ihnen her aber fiel der Feind ins Land ein. Durchs Remstal wälzten sich die feindliche Masse plündernd, sengend und mordend herunter. In Waiblingen hausten sie wie die wilden Tiere. Weiber und Kinder wurden in die Rems gejagt, daß sie ertranken, die Männer getötet und fortgeschleppt. Um dieselbe Zeit fielen andere über Untertürkheim her. Ein großer Teil des Orts, 280 Gebäude mit der Kirche, wurden verbrannt. Daß nicht alle Häuser verbrannten, beweist das Lagerbuch von 1666, aber unter anderem auch, daß beim Umdecken des Schnaitmann-Haugschen Hauses ein Hohlziegel gefunden wurde, auf dem die Jahreszahl 1548 eingebrannt ist. In der Kirche wurde eben das Holzwerk verbrannt. Als nach dem Weltkrieg das Mauerwerk des Turmes freigelegt wurde, zeigte es sich, daß diese auf der Seite gegen das Dach nicht anging, weil die Steine durch den Brand zu sehr gelitten hatten und deshalb mit [pag140] 

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Speis bedeckt werden mußten. Was den Raubmördern entkam, floh nach Cannstatt und Eßlingen: aber viele der Flüchtlinge kamen vor Hunger um. Manche hatten noch Gras im Mund, mit dem sie ihren nagenden Hunger hatten stillen wollen. Katzen, Hunde und Roßfleisch waren gesuchte Leckerbissen. Der Rat von Eßlingen ließ zu gewissen Zeiten Brot austeilen. Herzog Eberhard floh nach Straßburg und ließ sein Land im Stich. Die Stände und der Kanzler Löffler forderten ihn vergebens auf, in sein Land zurückzukehren und es vor der österreichischen Herrschaft zu bewahren. So kam des Kaisers Sohn, der spätere Ferdinand III., ein Jesuitenzögling, nach Stuttgart und ließ sich von den Bürgern huldigen. Mit ihm kamen Klosterleute und eine Menge Jesuiten, die alles daransetzten, das Land wieder katholische zu machen. Auf das Kriegsgetümmel folgte die Pest und hauste fürchterlich im ganzen Land. Von unserem Ort haben wir keine Angaben, weil bei dem Pfarrhausbrand 1964 die Kirchenbücher zugrunde gegangen sind. Mit unserem Ort läßt sich etwa Kornwestheim vergleichen. Dort sind im Jahr 1634 50, 1635 324, 1636 87 gestorben. Am 11. Oktober 1635 ist bemerkt: Ist der Einige Tag von dem 12. August an, an dem es keine Leich gegeben hat, am 23. September waren es 10. Man wird annehmen dürfen, daß nahezu die Hälfte der Einwohner, die vor der Schlacht von Nördlingen da waren, an der Pest gestorben ist. In Eßlingen starben 2583, in Stuttgart 4379. In welchem Maß die Landorte durch die Pest, aber auch durch die Flucht in die Städte entvölkert worden sind, mag auch wieder Kornwestheim zeigen. Währen in Zahl der Taufen vorher 30-38 betrug, sind es 1636 16, 1637 7, 1639 und 1640 noch 2. Im gleichen Jahr ist die Zahl der Toten auf 4 heruntergegangen, und das waren meist Flüchtlinge, die im Ort gestoben sind oder tot aufgefunden wurden. Noch im Jahr 1647 kommt die Bemerkung: in Cannstatt gestorben. Es konnte dann nicht anders sein, als daß zu Krieg und Pest der Hunger kam. Der Herbst 1635 war gering und der Wein schlecht. Die Teuerung wurde so groß, daß der sechspfündige Laib Brot 36 Kreuzer kostete. Katzen und gefallene Pferde wurden [pag141] gegessen. Von dem Maß der Hungersnot, die in den folgenden Jahren herrschte, mag auch wieder das Kornwestheimer Leichbuch einen Beweis geben, wo mit einer grausigen Regelmäßigkeit des "Hungers verdorben" wiederkehrt. Da werden Hungers Gestorbene an der Straße gefunden, eine "gewachsne Tochter" in einer Scheuer, ein Bettelmägdlein vor der Würths Tür, ein neunjähriger Bub in einem Stall. Im Jahr 1638 sind 14 Hungers gestorben. 1639 wurden die monatlichen Bußtage und das Läuten der Betglocke um 12 Uhr eingeführt, als notdürftiger Ersatz des Gottesdienstes, der nun von jedem Hausvater gehalten werden sollte; denn es waren etwa 300 Pfarrer umgekommen und 250 Pfarrstellen unbesetzt. Die noch lebenden Pfarrer haben zum größten Teil ihr Amt trotz aller Not aufs treuste versehen. 1639 berichtet der Pfarrer von Ohmden, er habe seinen Kirchenrock und etliche Bücher verkauft, um seinen Unterhalt aufzubringen. Es seien aber nur noch 8 Mann im Ort. Der Pfarrer von Mönsheim hat sein Amt weiter versehen, obgleich er keinen Gehalt bekam, aber ausgeplündert und von Brandunglück heimgesucht wurde und fortwährend mit dem Hunger kämpfen mußte. Der Pfarre von Kirchheim am Nektar ist innerhalb 5 1/2 Jahren sechszehnmal und dann innerhalb weniger Wochen noch dreimal ausgeplündert worden. Um die Ordnung in den verstörten Gemeinden wiederherzustellen oder aufrechtzuerhalten, wurden 1640 auf Anregung Johann Valentin Andreäs die Kirchenkonvente eingeführt. Ebenso wurde die Wiederaufrichtung des Heiligen (der Kasse, die vor allem auch für die Armen zu sorgen hatte) und das Ersammeln des Almosens mit dem Glöcklein (früher in der Kirche als Klingelbeutel) con der Kirchenbehörde befohlen. Weil die Besoldungen vielfach nicht mehr gezahlt wurden und der Beischuß der Gemeinden auch fehlte, haben die Pfarrer mit allerlei Arbeit, vor allem durch Betrieb der Landwirtschaft, sich ihren Unterhalt zu erwerben gesucht. Hier stand ja auch gegenüber dem Pfarrhaus die Pfarrscheuer. Der Pfarrer von Ebhausen hat in 12 Jahren hundertmal fliehen müssen. 12 Stück Vieh sind ihm verloren gegangen. Er baute 6 Morgen mit Dinkel, 6 mit Haber, "so ihm der Flecken eingeräumt". 

November 1642 lagerte das französisch-weimarische Heer zwischen Cannstatt und Eßlingen; und wenn die Truppen im Schnee ihr Langer aufschlagen mußten, so haben sie sich jedenfalls and den Ortschaften, soweit dies möglich war, gewärmt. In diesem Jahr, 1642, haben die Untertürkheimer das Schießhaus auf dem Wasen über der Brücke ins Dorf versetzt. Dasselbe war vor alters von den Orten Unter- und Obertürkheim, Uhlbach und Wangen erbaut, aber schon längst nicht mehr benützt worden. Nach Verständigung mit diesen Gemeinden wurde von der Obrigkeit die Erlaubnis gegeben, das Schießhaus, ehe es vollends zerfiel, als Rathaus im Ort aufzubauen. 1643 wird von Cannstatt ausdrücklich berichtet, daß alles Schreinwerk, Fußböden, Fässer, Keltergeschirr und viele tausend Obstbäume als Brennmaterial verwendet worden seien, in Untertürkheim war es sicher nicht anders. Dazu haben die Soldaten alle Lebensmittel aufgezehrt. Und das waren "Freunde", ihr Oberbefehlshaber der Bruder des Herzogs Eberhard. Wenn dann 1644 der bayrisch-österreichische Feldherr Johann von Werth sein Winterquartier in Württemberg hielt, ging es jedenfalls nicht besser zu. Im Jahr 1646 lagerten Bayern bei Fellbach und suragierten in der Umgegend; und als dann wieder französisch-schwedische Truppen durch das Herzogtum marschierten, wurden nicht nur alle Lebensmittel aufgezehrt, sondern es mußten auch aus den vom Durchmarsch nicht berührten Ämtern Wein, Vieh und 120 gesattelte Pferde geliefert werden. 1645 hatten die Untertürkheimer nach 11 Jähren zum erstenmal wieder einen guten Herbst gehabt, der freilich mehr den Durchmarschierenden als den Ortsbewohnern zugut gekommen sein mag. Doch gab es 1647 noch einmal viel und guten Wein, aber im Mai 1648 auch noch einmal einen Durchmarsch des französisch-schwedischen Heeres, und der Herbst war ganz schlecht. Dafür kam der Friede. Am 2. November 1648 wurde das große Friedensfest gefeiert. Vormittags wurde über Jesaja 12: Gott der Herr ist meine Stärke, mein Psalm und mein Heil, gepredigt und Nun lob mein Seel den Herren und Ein fest Burg ist unser Gott gesungen. Die Nachmittagspredigt wurde über Sacharia 8,9-18 gehalten: Vor diesen Tagen war der Menschen Arbeit vergebens und war kein Friede; aber nun sollen die Übreigen ihres Volkes Same des Frieden sein. Der Weinstock soll seine Frucht [pag142] geben. Dazu wurde "neben Figural- und Instrumentalmusik" gesungen: Wo Gott der Herr nicht bei uns hält und Wär Gott nicht mit uns in dieser Zeit. 

Das Land, das 1634 noch 313000 Einwohner gehabt hatte, zählte 1639 61500. 1641 kaum noch 48000. Es ging bis August 1650, bis die letzten Besatzungen das Land verließen. Am 6. Juli 1650 zogen die Schweden aus Eßlingen ab. Untertürkheim hat vor dem Krieg 1600-1700 Einwohner gehabt. Es ging bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts, bis es diese Einwohnerzahl wider erreichte. Da nach dem Friedensschluß die Flüchtlinge wieder zurückkehrten, wohl auch entlassene sich ansiedelten, wurden die Dörfer rasch wieder besiedelt. Von unserem Dorf fehlen eben leider die Angaben. Aber in Klein-Gartach z. B. wohnte 1641 noch 1 Mann, dagegen zählte man 1653 schon wieder 88 Abendmahlsberechtigte, 44 Katechumenen (Schüler), 39 Kinder, die noch keine Schule besuchte. Auch die Wiederbesetzung der verwaisten Pfarreien ging verhältnismäßig schnell vonstatten. 1641 waren es noch 219 Pfarrer, 1653 schon wieder 437. Die Dekanate Stuttgart, Cannstatt und Tübingen waren voll besetzt. Mit der Zunahme der Bevölkerung wurde auch das öd liegende Land allmählich wider angebaut, 40000Morgen Weinberg und 270000 Morgen Äcker, Wiesen und Gärten lagen am Ende des Kriegs wüste. Kein Wunder, daß da die Wölfe zunahmen, daß in Obertürkheim einer bis in der Ort hereinkam, und die Förster noch 1655 die Auflage hatten, jährlich zwei erlegte Wölfe abzuliefern. Wie die Untertürkheimer das Land und die Weinberge wieder anbauten, so bauten sie die verbrannten Häuser wieder auf. Im Jahr 1666 hatte der Ort 82 Häuser neben 43 Brandstätten. Ein Teil der Häuser wat verschont geblieben, andere waren wieder aufgebaut, um 1700 waren es 121 Häuser. Das Schulhaus war 1654 noch so, daß der Schulmeister sich elend behelfen mußte, indem er gezwungen war, die 30 Knaben und 21 Döchterlen in seiner Wohnstube zu unterrichten. 1661 konnte berichtet werden, daß das Schulhaus aufs beste versehen sei, das alte wohl verkauft. Für das abgebrannte Pfarrhaus soll 1658 in Öffingen ein "papistisches Haus" abgebrochen und hier als Pfarrhaus wieder aufgebaut worden sein. Was aber den Untertürkheimer besonders am Herzen lag, das war die Wiederherstellung der ausgebrannten Kirche,. Dahat sich der Bürgermeister Marx Schönhaar, Schwiegervater des späteren Bürgermeisters Bartholomäus Warth, alle Mühe gegeben. die Mittel zusammenzubringen, und er hat erreicht, daß nicht bloß im Land, sonder in einer ganzen Anzahl con Reichsstädten für den Wiederaufbau gesammelt werden dufte. So ist von 1654 bis 1656 die Kirche wieder aufgebaut worden. Und es ist merkwürdig, wie seinerzeit mehrere gute Jahre den Untertürkheimern Mut gemacht haben, ihre Kirch zu bauen, so ist ihnen jetzt eine ganze Reihe von guten Weinjahren beschert worden. 1652 heißt es: viel und gut und dann 3 Jahre lang viel und gut, ja sehr gut. Daß zu dem Bau Mut gehörte, beweist die Zahl der Einwohner, die Im Jahr 1654 erst wieder 317 betrug. Ums Jahr 1700 zählte man 122 Bürger, 22 Witwen, 8 Beisitzer, Gesamtseelenzahl 700. Statt 82 im Jahr 1666 waren es jetzt 124 Häuser, und die Trümmerstätten, soweit sie nicht wider aufgebaut waren, hatte man im Baum- und Küchengärten verwandelt. Im Rathaus, der heutigen Apotheke, residierte ein "raysiger Schultheiß", der bei Aufgeboten seine Dorfleute zu Pferd anführte, um 1659 Johann Georg Vischer, dessen Grabstein an der Kirche angebracht ist, 1673 Ludwig Albrecht Schmierer, 1676 der erste Amtmann Johann Friedrich Lindenfels. Er wurde 1691 von einem Trunkenen, der 15 Jahre in der Fremde gewesen war und sich das Tanzen am Sonntag nicht verbieten lassen wollte, erschossen. Ihm folgte 1705 "Ambtmann" Johann Jakob Mayer. Das später herrschaftliche Amzshaus wurde das jetzige Runstsche Haus. 

Das Pfarramt versah ein Jahr lang, 1635-1636, Jakob Baumann. Johann Jakob Efferhen hat dann in den schwersten Zeiten bis zum Friedensschluß hier ausgeharrt. Nach seinem Tod 1649 trat an seine Stelle 1650 Ludwig Hetzer bis 1670. Unter ihm ist die Kirche wiederhergestellt worden. Dann mußten die Untertürkheimer 3 Jahre lang warten, bis sie 1673 wieder einen Pfarrer bekamen. Es war Johann Konrad Zeller, der Jeremias unter den Untertürkheimer Pfarrern, der neben viel Schwerem in seiner Familie den Brand des Pfarrhauses und die schweren Nöten, die durch die Franzoseneinfälle über unsern Ort und das ganze Land [pag143] gekommen sind, mit durchgemacht hat. Im Jahr 1656 haben die Prinzessinnen Antonia und Anna Johanna, geborene Herzoginnen von Württemberg, der Gemeinde einzierliches silbernes Taufkännchen nebst Becken gestiftet. Damals fing man an, dir Kinder nicht mehr in dem mit Wasser gefülltem, ausgehöhlten Taufstein einzutauchen, sondern bei der Taufe nur mit dem Wasser zu benetzen. 

Infolge des Krieges war das Volk, das ja nun meist während des Kriegs aufgewachsen war, furchtbar verroht. Fluchen und Schwören ging im Schwang; besonders groß war die Unsittlichkeit. Auf den Straßen trieb sich ein widerliches Gemisch von Bettelstudenten, Handwerksbuchschen, abgedankten Soldaten und herrenlosen Knechten umher, die, wenn man ihnen nichts gab, mit Raub und Brand drohten, stahlen und wohl auch mordeten. Während des Kriegs hatten viele weder lesen noch schreiben gelernt, xund es fehlre den meisten der Sinn für irgend etwas Höheres. Dagegen wurde ein großer Kleiderluxus getrieben. Die französische Mode bürgerte sich immer mehr ein: Weste, kurze Hosen, seidene Strümpfe, Galanteriedegen, der offene Rock mit Ärmelaufschlägen und für die Standespersonen die Staatsperücke und der dreieckige Hut. Auch im Essen und Trinken wurde ein furchtbarer Luxus getrieben und auch auf dem Land bei Kirchweihen, Hochzeiten und anderen Gelegenheiten alles Maß überschritten. Und doch taten die Bauern schwer. Wer Geld hatte, konnte freilich schon um weniger als 5 Gulden einen Morgen kaufen. Herzog Eberhard hat das benützt und so das Hofkammergut zusammengekauft. Aber der Gemeinde Mann hatte kein Geld und namentlich kein Zugvieh. Und der Weinbau, "auf dem des Fürstentums Nahrung fast allein gegründet" war, war namentlich durch Einführung geringer Sorten, wie Putscheren, die viel, aber gehaltlosen Wein gaben, sehr geschädigt worden. Die Regierung verbot das Herstellen von Obstmost. "Es könnte nicht allein der atme Landmann, die Armen und Kranken, Kindbetterinnen und säugende Weiber in Schaden kommen, sondern das ganze Land leicht verschreien und das höchstedle Gut des Weinhandels gestocket und die Fuhrleute abgewendet werden." Auch das Bierbrauen wurde eingeschränkt und der Anbau edler Rebsorten befohlen, um dem Weinhandel aufzuhelfen. Die Regierung suchte auch der neuaufgekommenen Sitte des "Tabaktrinkens", die sich im Krieg sehr ausgebreitet hatte, zu steuern. Das alles hätte eher Erfolg gehabt, wenn der Friede wirklich eingekehrt wäre. Aber als Herzog Eberhard III. 1674 starb, hatte das Land schon wieder unter Truppendurchzügen zu leiden, und Ende des Jahres bezogen die kaiserlichen Truppen Winterquartiere in Württemberg. Der räuberische Franzosenkönig gab keine Ruhe. Eberhards Sohn Wilhelm Ludwig, und sein edle Gemahlin Magdalene Sibylle, eine Landesmutter im vollsten Sinne des Wortes, übernahm die Regierung mit dem Oheim Friedrich Karl. Bis zu dem schmachvollen Frieden zu Nymwegen, den der Kaiser 1678 mit Ludwig XIV. schloß, war das Land fortwährend von Durchzügen und Einquartierungen der zügellosen kaiserlichen Truppen geplagt. 

[pag144] Von 1676 bis 1680 hatte es immer viel Wein gegeben, viel und sehr gut und sehr viel und mittelgut. Aber im Jahr 1680 wurden die Gemüter wieder durch das Erscheinen eines Kometen geängstigt. Und im September 1681 raubte der "Sonnenkönig" mitten im Frieden Straßburg, "die wunderschöne Stadt". Der "allerchristlichste König" hatte die Türken auf Wien gehetzt, und so konnte das ohnmächtige Deutsche Reich sich gegen die französische Gewalttat nicht wehren. Erst am 12. September 1683 wurden die Türken, die Wien belagerten, völlig geschlagen und für alle Zeit von den deutschen Grenzen vertrieben. Im Oktober 1682 durften die Untertürkheimer Schulkinder unter Leitung des Schulmeisters Joh. Jak. Efferhen, Sohn jenes Untertürkheimer Pfarrers, dem Administrator Herzog Friedrich Karl und seine neugetrauten Gattin Eleonore Juliane von Brandenburg auf den Neckarwiesen ein Empfangslied singen. Die Mutter und Mitvormünderin des Herzogs, Magdalene Sibylle, war ihnen mit ihrem ganzen Hofstaat bis Untertürkheim entgegengefahren. Als die Kaiserstadt Wien noch von den Türken schwer bedroht war, ordnete die Regierung auf den 29. Juli einen Buß-, Bet- und Fasttag an. Viermal in der Woche wurde Betstunde gehalten, und täglich läutete nun zehn Uhr die Türkenglocke, damit die Leute zu Haus oder auf dem Feld Gott um Schutz vor des Türken Mord bitten sollten. Die Türken wurden ja dann geschlagen, aber ihre Verbündeten, die Franzosen, wurden immer frecher. Der bayrische Gesandte hatte recht, wenn er sagte, wenn Deutschland ruhig zusehe, wie ihm ein Glied um das andere abgerissen werde, so reize es die Franzosen, die sagen, die Deutschen seien nicht wie Menschen, sondern wie "tummes Vieh". 1687 kehrte ein württembergisches Regiment aus dem Türkenkrieg zurück; aber es waren von den 1000 Mann, die ausgerückt waren, noch 300 übrig. Nach ein paar friedlichen Jahren, während deren aus Piemont vertriebene Waldenser und Salzburger aus dem Tesseregger Tal, die um ihres Glaubens willen die Heimat hatten verlassen müssen, in Württemberg eine neue Heimat fanden, brach im Jahr 1688 das Kriegsunwetter aufs neue los. Der Bluthund Melac, dem wir die Schloßruine von Heidelberg zu danken haben, nahte. In Marbach hatten seine Räuberbanden fürchterlich gehaust, und in der Nacht auf den 9. Dezember waren die Untertürkheimer voll Angst; denn bereits war er in Cannstatt angekommen. Doch am 9. Dezember zogen die Franzosen durch den Ort ohne Aufenthalt, denn sie eilten Eßlingen zu. Von dort aus machten sie dann ihre Raub- und Beutezüge, und auch Untertürkheim blieb nicht verschont von Furagieren und Brandschatzen. Am 22. mußten die Pferdebesitzer des Ortes aufspannen, um den Franzosen die Beute, die sie in Stuttgart machen wollten, fortzuführen, und mittags kam "des Plutonis Bruder Melac mit seinen lieben treuen Höllenbräuden, in die 500 stark, Pechkränze um sich tragend"; hinter ihnen drein fuhr ein Wagen mit allerlei Brandzeug und Materialien in Fässern. Stuttgart haben sie zwar nicht angezündet, aber mit "Plündern, Quälen und Plagen um Geld" ihr Möglichstes getan und wegen 15000 Gulden noch nicht gezahlter Ranzion zwei Bürgermeister als Geiseln mitgenommen. Am 23. Dezember nahm die Räuberbande vor den anrückenden Kreistruppen Reißaus. In einem Poem im Geschmack der Zeit heißt es: "Verruchte Bösewichte, Mordbrenner, Teufelsbraten, die selbst die Höll gezeugt; ob deren bösen Taten die ganze Welt erstaunt, die helle Luft erschwarzt, der Sterne Heer entweicht." Der Krieg ging fort, das Land hatte fortgesetzt unter Durchmärschen und Einquartierungen zu leiden. Die bayerischen, sächsischen und kaiserlichen "Schutzengel" verderbten das Land durch entsetzliche Ausschweifungen, ohne Beachtung der nötigen Ordnung. Durch die vielen Kriegsfuhren kamen Bauern um ihre Pferde, und Anfang der Neunziger Jähre lagen Tausende von Morgen wüste, weil es an Pferden und Leuten und am Ende an Saatfrucht fehlre. Kein Wunder, daß Not und Armut und im Gefolge davon "fieberische Krankheiten" das geplagte Volk heimsuchten. 

1692 geriet der Administrator Herzog Friedrich Karl, der vom Rhein herbeigeeilt war, um sein Land vor einem Einfall der Franzosen zu schützen, bei Ötisheim in französische Gefangenschaft. Auch die ganze Cannstatter Kompanie, bei der 18 Untertürkheimer waren, wurde von den Franzosen gefangengenommen. Die Gefangenen wurden aufs schändlichste mißhandelt. Einem, Martin Höschlin, gelang es "glücklich zu echappieren", zwei nahmen französische Kriegsdienste, [pag145] um dem erbärmlichen Los der Gefangenen zu entrinnen, und kehrten erst nach Jahren zurück. Am 20. Januar 1693 wurde der erst sechzehnjährige Herzog Eberhard Ludwig seiner "fürstlichen Qualitäten und sonderbaren Fähigkeiten wegen" für volljährig erklärt. Als er seine Regierung antrat, lag das Land voll Reichstruppen. Im Mai aber kamen die Franzosen wieder über den Rhein, und die Reichstruppen waren nicht imstande, zu verhindern, daß sie Markkröningen und Schwieberdingen plünderten und in Marbach 210 Häuser verbrannten, Stuttgart aber französische Sauvegarden aufnehmen mußte. Und als dann die "Schnapphahnen" unter Führung eines desertierten württembergischen Oberstleutnants einen französischen Proviantzug abfingen, mußten die Stuttgarter, die sich doch dieser Räuberbande mit Waffengewalt erwehrt hatten, gleichwohl den Überfall büßen und eine Garnison in die Stadt aufnehmen. Für Schutz und Schonung(!) des Landest aber mußten 1200000 Franken gezahlt werden. Doch die Franzosen haben noch nie einen Vertrag gehalten. Und als eines Tags Gabelnberg von ihnen geplündert und angezündet wurde, floh Pfarrer Zeller mit neun Kindern und einer Magd nach Uhlbach, wo er im Pfarrhaus Aufnehme fand. Als er aber erfuhr, daß die Franzosen Fellbach geplündert und teilweise angezündet haben, floh er am 28. Juli 1693 nach Eßlingen. Während der drei Wochen, da die zwölfköpfige Pfarrfamilie "als in einer Noah Arch" in Eßlingen eingeschlossen war, plünderten die Franzosen zu Untertürkheim, "absonderlich aber im Pfarrhaus Tag". Als sie endlich abgezogen waren und die Pfarrleute zurückkehrten, fanden sie einen unbeschreiblichen Greuel der Verwüstung. Auf 200 Gulden schützte der Pfarrer seinen Verlust allein an Besoldungswein. Furchtbar war die Not im ausgeraubten Flecken. Die Zahl der Bettelarmen war bedenklich gewachsen. Von den 20 Witwen des Orts waren die meisten darauf angewiesen, von Haus zu Haus um Gaben zu bitten. Und doch hatten die meisten Bürger selbst kaum das Notdürftigste, und wenn am Sonntagabend der Heiligenpfleger mit ein Brotlaiben von Cannstatt zurückkehrte, stand es vor dem Rathaus schon voll mit Hungrigen. Am übelsten ging es den von der Kriegsseuche Gegriffenen, die pfleglos dalagen, weil sie niemand Eigenes hatten. Die Regierung ordnete an, daß in jeder Gemeinde die Fürsorge für die Armen und Kranken eingerichtet werden solle, und überwies zunächst eine Summe, die für Wart der Kranken und Versorgung der Hungernden verwendet werden sollte. Viel hatte sie freilich nicht zur Verfügung, mußte sie doch die Brandschatzungsgelder aufbringen. Die [pag146]Franzosen hatten statt der im Vertrag bestimmten 6 xvielmehr 13 Geiseln mitgenommen und behandelten dieselben aufs grausamste, so daß 2, der Prälat von Hirsau und der Vogt von Göppingen, an den Mißhandlungen starben. 

Im Jahr 1694, das ein gutes und fruchtbares war und einen "feinen Weinsegen" brachte, erlebte die Gemeinde eine unerwartete Freude, als eines Tages während der Lese Hansjörg Hettich zerlumpt, aber gesund zurückkehrte. Es war ihm gelungen, aus den französischen Kriegsdiensten zu desertieren und sich unter großer Lebensgefahr durch Frankreich durchgeschlagen. War das Jahr gesegnet gewesen, so kam nun auch eine Steuer um die andere. Die Hausbesitzer mußten 1 v. H. des Wertes ihrer Häuser zahlen, und die, dei ihre Habseligkeiten gerettet hatten, ein Drittel des Hauszinses abgeben. Das Härteste war eine Kapitations-(Kopf-) Steuer, durch die kinderreiche Familien am schwersten getroffen wurden. Im Winter mehrte sich die Schar der Bettler unheimlich. Und zwei Hochstapler, die vom Pfarrer abgewiesen worden waren, haben im November in der Pfarrscheuer Brand gelegt und das Scheunentor aufgerissen, so daß in kürzester Zeit das ganze Haus von Rauch und Brand erfüllt war. Der Pfarrer, der sich schon zur Ruhe gelegt hatte, konnte weder seine Bücherei noch die Kirchenbücher retten. In der Langen Gasse konnte er ein Haus kaufen, so daß er für seine große Familie einen Unterschlupf hatte. Die Durchmärsche und Einquartierungen hörten nicht auf. 1695-1697 mußte alljährlich "wegen bevorstehenden Feldzugs ein allgemeiner Buß- Bet- und Fasttag solemniter zelebriert werden". Im Jahr 1696 war die Bevölkerung des Herzogtums, die allmählich auf 450000 Einwohner angewachsen war, wieder auf 300000 gesunken. Im Jahr 1607 wurde dann endlich der Friede von Reisweik (RijsWijk) geschlossen, durch den Straßburg endgültig an Frankreich fiel. Den Kaiserlichen und den Katholischen war an der Stadt Straßburg nicht viel gelegen, weil sie die Hoffnung hatten, daß "ihre Religion von der Krone Frankreich mit mehrerer Eifer eingeführt" werden dürfte. 

Das  Jahr 1698 brachte Mißwachs und vermehrte die Not. Und sehnlich warteten die Hungernden am Mittwoch und Samstag auf das von der Herrschaft verwilligte Brotquantum, das durch eine "versicherte Person" abgeholt wurde. In das entvölkerte Land wurden 1699 3000 Waldenser unter Pfarrer Henri Arnand aufgenommen. Arnand hat dem Lande die Kartoffel gebracht, indem er sie zuerst anpflanzte. Im Jahr 1696 starb Amtmann Krauß. Ihm folgte der dreiunddreißigjährige Georg Marx Dolmetsch, "ein aufrichtiger und gottseliger Mann".