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Untertürkheimer Heimatbuch 1935
Von Johannes Keinath

Die Stube

Mittelpunkt des häuslichen Lebens war die Stube. Sie war, auch wenn eine ganze Fülle von Kammern vorhanden war, der einzige heizbare Wohnraum. Deshalb war die Seele der Stube der Ofen. Er gab dem Raum durch seine Behäbigkeit etwas anheimelnd Mütterliches.

Da seine Feuerung von der Küche aus bedient wurde, stand er immer mit der Rückenwand gegen sie. Daß zur Feuerung ganze "Gräen" verwendet wurden, machte breit ausladende Formen notwendig. Auf den vielfach in Zierformen gehaltenen Ofensteinen stand frei der große würfelförmige Ofenkasten, darauf ein kleinerer Würfel, der Ofenhelm. Durch die vorstehende obere Tafel des Ofenkastens entstand um den Ofenhelm herum ein ziemlich breites Gesims, das man dazu benützte, um das kellerkalte Getränk zu erwärmen, zu "überschlagen". Auf drei Seiten des Ofens hingen von der Decke herab die "Ofestängele", an denen im Winter Wäsche, gegebenenfalls auch Windeln getrocknet wurden. Noch heute, nach vielen Jahrzehnten, schüttelt's den alten Leegersvetter, wenn er an die Düfte denkt, die ihm als jungem Buben bei seinen Gängen von Haus zu Haus, aus manchen Stuben an kalten Wintertagen entgegenschlugen. Neben dem Ofen stand ein mit ungefärbtem Naturleder überzogener Stuhl für den Großvater oder den Hausherrn. Der Stuhl besaß außer Seiten- auch eine hohe Rückenlehne mit zwei "Ohren". Die von einem Gestänge mit Vorhängen umgebene Himmelsbettlade nahm einen großen Teil der Stube ein. In ihrer Nähe hatte auch die Wiege ihren Platz. Über Eck standen zwei lehnenlose Bänke, zwei "Schrannen", vor dem behäbigen Tisch mit seiner saubergescheuerten Platte aus Birnbaumholz und seiner Schublade, in der das vielbegehrte Brot samt dem Brotmesser und dem Tischbesteck lag. Schon ein "Kanapee" (Bank mit einer Rücklehne aus Stäben) war selten, das schwarzüberzogene Ledersofa mit feinen weißen Knöpfen vollends ein fast unerhörter Luxus. Von sonstigen Möbelstücken standen in der Stube in wohlhabenderen Häusern ein "Sekretär" mit der aufklappbaren Platte, die heruntergelassen als Schreibtisch dient, zugeklappt den Verschluß bildet, und höchstens noch eine "Pfeilerkommode".

Alle sonstigen Kommoden und Kästen hatten ihren Platz in den Schlafkammern; die Schnitztruhe, die in fast keinem Hause fehlte, und an die die Kinder manches Mal mit gierigen Augen herumstrichen, stand mehr oder weniger reichlich mit Birnenschnitzen und gedörrten Zwetschgen gefüllt in der Speisekammer, die in manchen Häusern recht umfangreich war und ein großes Kastengestell, das sogenannte "Kopfhaus" enthielt.

Der Stubenboden bestand aus gehobelten Brettern, die nicht immer ganz dicht zusammenschlossen. Samstag nachmittags wurde er, wenn aufgewaschen war, mit Sand bestreut.

Die Wände der Stube waren teils bloß "bestochen", so daß das Holzwerk unter dem Kalkanstrich sichtbar wurde, teils mit Holz getäfert. Man hatte ihm seine Naturfarbe gelassen oder einen hellen Anstrich aufgetragen, schon um den Raum etwas aufzuhellen, zumal wenn er im Erdgeschoß lag und nur von einer Seite aus Licht hatte. Die Wände waren fast schmucklos, höchstens der Brautkranz der Hausfrau oder ein Rosenkränzlein eines verstorbenen Kindes weckten Erinnerungen an freudige und ernste Tage.

In diesem Raum spielte sich das eigentliche Familienleben ab. Bis in ihr höchstes Alter hinein blieb er all denen im Gedächtnis, die darin auf gewachsen waren, und noch in spätesten Jahren wissen sie um jede Einzelheit in Gestalt und Farbe.